100.000 Körper
 
Installation
 
2006 Ausstellung 'Invasionen in den Körper' in der ehemaligen Einkaufspassage Frappant, Hamburg
2008 Ausstellung 'Prototypisieren', thealit Bremen
 

 
Die Arbeit nimmt Bezug auf die Theorie der sogenannten Rassenkunde des schwedischen Arztes Herman Lundborg in den 1920er Jahren. Sie zeigt, wie versucht wurde, durch krasse photographische Manipulation eine pseudowissenschaftliche These zu untermauern. Was sagt das Bild? Wie lügt es? Wie wendet sich der sezierend-wissenschaftliche Blick auf den nackten Körper?
 
Im Zentrum der Installation 100.000 Körper hängen im Raum drei Aufnahmen von nackten Frauenkörpern aus dem Buch von Lundborgs Rassenkunde des schwedischen Volkes (1927). Gegenüber schauen in einem Videofilm männliche Augen auf die Bilder der weiblichen Entblößung. Jedes Augenblinzeln erzeugt ein Photokamera-Shutter-Geräusch.
 
Darunter eine Filmaufnahme von brabbelnden Mündern, Gefangene einer Schleife, die fortwährend wissenschaftlich anmutende Statements von sich geben. In einem panoptischen Daumenkino sind historische Originalaufnahmen zu sehen: nackte Leiber, die sich wie Produktmodelle in einem Display endlos drehen.
 
Die alten Photographien werden mit neuen Aufnahmen konfrontiert, die Bildmanipulation auf die Spitze getrieben. Eine wandgroße Projektion zeigt drei Bilder von heute: ein Körper in verschiedenen Standpositionen und Lichtsetzungen, eine Frau mit blonder, brünetter, schwarzer Perücke. Die Bilder spielen mit Wahrnehmungen des Betrachters und den Rassismen im Kopf, von denen wir alle ein Stück bei uns tragen.
 
Sound-, Bild- und Textcollagen bringen zum Ausdruck, wie offensichtlich bereitwillig nicht wenige Genforscher heute die zweifelhaften Theorien von gestern adaptieren.
 

 
100.000 Bilder
In den 1920er Jahren bediente sich die physische Anthropologie erstmalig der Photographie. Damit war die Zeit der manischen Schädelsammler vorbei; jetzt wurde die Bewertung großer Mengen menschlicher Körperbilder möglich. Mit dem bildgebenden Medium gelang es, die Theorie der "morphologischen Rassentypologie" - also der Einordnung und Beurteilung des Menschen aufgrund seiner körperlichen Merkmale - weiter zu verbreiten und verankern. Zur schnellen statistischen Erfassung des Bildervolumens diente das Hollerith-Lochkartenverfahren, die erste maschinelle Datenverarbeitung.
 
100.000 Körper
vermaßen schwedische Wissenschaftler um 1925 im Zeitraum von nur einem Jahr. Auftraggeber war Herman Lundborg, Leiter des weltweit ersten "Rassenbiologischen Instituts" an der staatlichen Uppsala Universität. Im Institutsarchiv finden sich noch heute tausende Photographien von nackten Menschen aus Schweden und Finnland. Diese wurden als Prototypen für "Rassen" angesehen. 1927 brachte Lundborg sein bebildertes Buch Rassenkunde des schwedischen Volkes (The Racial Characters of the Swedish Nation) heraus, das international viel Lob und Beachtung fand, vor allem in Deutschland und den USA.
 
unsichtbar / sichtbar
Vom maßgenommenen und photographierten nackten Körper (die Gesichtszüge wurden nachträglich mit einer weißen Maske unkenntlich gemacht) versuchten die Wissenschaftler, Rückschlüsse auf unsichtbare Charaktereigenschaften zu ziehen. Die Rassenbiologie aus Uppsala konstruierte Prototypen von angeblich "höherwertigen Schweden" und "minderwertigen Ostbalten" (Finn_innen) und "Lappländern" (Same).
 
Bildmanipulation
Ins Auge sticht die krasse photographische Manipulation der Körperbilder, mit der Lundborg "Rassenunterschiede" suggerierte, etwa "Schönheit" oder "Hässlichkeit" der Bevölkerungsgruppen. So variieren die Bildgrößen stark je nach "Wertigkeitsskala". Mehr oder weniger vorteilhafte Lichtsetzungen und Aufnahmewinkel, große Altersunterschiede zwischen den Abgebildeten und gerade oder gekrümmte Körperhaltung sollten die "rassische Hierarchie" bildhaft untermauern.
 
Selektion
Die an der Uppsala Universität entwickelte "Rassentheorie" wurde Staatsdoktrin und hatte unmittelbare bevölkerungspolitische Folgen. Zwischen 1935 und 1974 wurden 63.000 Menschen sterilisiert. Mindestens 16.000 als "minderwertig" geltende Personen wurden einer Zwangssterilisierung unterzogen. Das Gedankengut aus Schweden wurde vom nazifizierten Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin übernommen und direkt in die Euthanasie-Praxis umgesetzt. Das Hollerith-Lochkartenverfahren ermöglichte die Erfassung von Bevölkerungsdaten und damit die Organisation der Shoah.
 
sichtbar / unsichtbar
Die "Rassentheorie" ist heute einer populationsgenetischen Betrachtungsweise gewichen. Die unsichtbaren Gene können erst durch technologische Verfahren sichtbar gemacht werden. Doch jenseits der Ethik-Kommissionen erscheint am Horizont die Vision eines "Menschen-Designs". Mit "guten Genen" sind Vorstellungen von sichtbar "schönen" Körpern und unsichtbar "guten" Charaktereigenschaften verbunden. Der/die optisch Ansprechende wird assoziiert mit Stärke, Gesundheit und Intelligenz, der/die "Andere" mit Schwäche und "schäbigem" Innenleben. Nicht wenige Humangenetiker sehen in der "morphologischen Rassentypologie" einen direkten Vorgänger, der neuere genetische Erkenntnisse unterstütze.
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
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